Bruder Paulus macht Stiftsruine zum Ort der Verkündigung

Gelungener Landfrauentag auf dem Hessentag

 

Der Landfrauentag auf dem Hessentag in Bad Hersfeld war für die rund 2 000 teilnehmenden Landfrauen und Gäste ein herausragendes Ereignis. Zum einen bot die Stiftsruine mit ihrer Theaterbestuhlung ein sowohl architektonisches als auch historisches Ambiente, an das ein noch so gut geschmücktes Festzelt mit Bierzeltgarnituren bei weitem nicht heranreichen kann. Zum anderen wurden die Erwartungen an das mittlerweile Tradition gewordene „Streitgespräch“ zwischen Landfrauenverband und Hessischer Landesregierung vollumfänglich erfüllt.

Mit aufrichtigem Bedauern nahmen die Landfrauen zur Kenntnis, dass Ministerpräsident Volker Bouffier aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich erscheinen konnte und schlossen sich den Genesungswünschen von Präsidentin Hildegard Schuster an. In Vertretung des Ministerpräsidenten war Staatsministerin Priska Hinz gekommen. Und die durfte sich gleich einen Korb voller Forderungen anhören, die Schuster in gewohnt engagierter Rede vortrug.

Verfassungsrang jetzt auch zur Geltung bringen

Thematischer Kern der Forderungen war die parallel zur Landtagswahl im Oktober 2018 durch die Wählerinnen und Wähler erfolgte Änderung der Hessischen Verfassung, bei der unter anderem das Ehrenamt Verfassungsrang erhalten hatte. Daraus leitete Schuster konsequenterweise ab, dass die Landesregierung sich jetzt schleunigst an die Umsetzung des sich daraus ergebenden Auftrages zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit zu machen habe. Und dazu zählte sie ganz konkrete Maßnahmen auf: Als erstes nannte sie das Bildungsurlaubsgesetz und die damit verbundenen Richtlinien. Beispielhaft dachte Schuster an professionelle Anleitung zur Ertüchtigung des Führungspersonals in ehrenamtlichen Vereinen in eintägigen Schulungen. „Mehrtägige Abwesenheit von der Familie oder dem Arbeitsplatz in kleineren Betrieben ist in der Regel nicht möglich. Kommen Sie dem Ehrenamt entgegen und ändern Sie den bisherigen Zwang zu mehrtägigen Seminaren“, so ihre klare Ansage.

Weiter nannte sie die kostenfreie Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten für ehrenamtliche Vereine durch die Kommunen. „Frau Ministerin, in Ihrer Heimatstadt Herborn zahlt der Landfrauenverein 150 Euro im Jahr für Räumlichkeiten, den Vogel schießt Rüsselsheim ab, wo die Landfrauen im Stadtteil Bauschheim mehr als 3 000 Euro im Jahr für die Nutzung des Bürgerhauses zahlen müssen. Beenden Sie diesen Skandal der Abzocke bei ehrenamtlichem Einsatz!“, sagte Schuster. Weiterhin solle die Erstattung des Verdienstausfalls geregelt werden. „Wir wollen nichts verdienen, aber auch nicht für ehrenamtliches Engagement bestraft werden“, so Schuster.

Generell forderte sie den besonderen Schutz des Staates ein für alle, die sich für die Gesellschaft einsetzen: von Angehörigen der Rettungsdienste, der Feuerwehren bis hin zu Polizeibeamten, die von zunehmender Gewalttätigkeit bedroht seien. An dieser Stelle gedachte sie dem kürzlich getöteten Regierungspräsidenten von Kassel, Dr. Walter Lübke, der sehr großes Vertrauen in die Arbeit der Landfrauen gesetzt habe.

Förderung auch für E-Bikes zur Mobilitätsverbesserung

Den Fächer der Forderungen an die Landesregierung spannte Schuster weiter auf mit der Frage, warum die Förderung der Elektromobilität mit 5 000 Euro nur für Automobile gewährt werde? Die E-Bikes, mit denen man den Bahnhof oder das Dorfgemeinschaftshaus bequemer erreichen könne, gehörten auch dazu. Wichtig sei auch die Verbesserung der medizinischen Versorgung auf dem Land, dazu zählten beispielsweise eine verbesserte Altenversorgung, die erreichbare Geburtsvor- und Nachbereitung oder das Mammografie-Screening-Programm.

 

Positiv erwähnte Schuster die Festlegung im Koalitionsvertrag zur Beteiligung der Landfrauen in der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Hessen. „Wir sind aufgenommen als Partner, wir können das schon lange, wir halten Wort und arbeiten seit 2015 mit. Für die Ausweitung der Mitarbeit wurde uns finanzielle Unterstützung zugesagt. Doch wo bleibt der Bescheid? Tausende Landfrauen hören gespannt zu, Frau Ministerin. Sie haben das Wort.“

Staatsministerin Priska Hinz (r.) erfüllte den dringlichen Wunsch von Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster, zog den Bewilligungsbescheid über die zugesagten Mittel für die Ausweitung der Beteiligung der Landfrauen in der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes aus der Tasche und löste damit große Freude aus.
Foto: Dietz

Priska Hinz griff die Frage (oder den imaginären Handschuh) auf und stellte fest: „Sie haben wieder ordentlich vorgelegt, wie Sie das so machen, Frau Präsidentin.“ Für die Landesregierung stellte sie fest, „der Landfrauenverband ist mit seinen mehr als 40 000 Mitgliedern eine starke Stimme für den ländlichen Raum. Wir bewundern Sie und bauen auf Sie und auf Ihre Tatkraft. Sie beteiligen sich am gesellschaftliche Leben und gestalten mit.“ Der Verband sei Beispiel dafür, wie Gemeinschaft funktioniere, und spreche mit einer Stimme. Für das Engagement für Mann und Frau, für Jung und Alt sage die Landesregierung Danke.

Der Frage nach den zusätzlichen Fördermitteln für die geplante Ausweitung der Mitarbeit der Landfrauen in der Nachhaltigkeitsinitiative des Landes wich Hinz nicht aus. „Über Ihre Mitwirkung sind wir froh. Die Qualität Ihres Beitrages zur Förderung einer gesunden Ernährung ist hoch und enorm wichtig“, betonte sie. Die Landesregierung wolle davon gerne noch mehr in Anspruch nehmen. Dazu zähle der Ernährungsführerschein in der 3. Klasse, das Thema Ernährung an allen Schule in den Klassen 5 und 6 für Mädchen und Jungen, die Kinderkochkurse zu saisonalem Essen oder die Vermeidung von Lebensmittel-verschwendung.

Gelungene Überraschung durch Bescheidübergabe

„Und weil die Präsidentin mich total charmant um die zusätzlichen Mittel für die Aus-

weitung der Bildungsangebote gebeten hat – hier ist er, der Bewilligungsbescheid.“ Sprach“s und zückte die Urkunde über einen Betrag von 370 440 Euro aus ihren Unterlagen. Die Überraschung war gelungen. Präsidentin Schuster kommentierte unter starkem Beifall: „Der Landfrauentag heute ist wie Weihnachten. Jetzt werden wir auch loslegen. Macht alle mit!“

Zuvor hatte Hinz noch ausgeführt, dass die Landesregierung die Förderung der ländlichen Räume zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht habe. Neben der Offensive „Land hat Zukunft – Heimat Hessen“ werde sie einen Aktionsplan für den ländlichen Raum entwickeln. Dieser solle die vorhandenen Potenziale von mehr als 400 Kommunen und hieran angegliederten knapp 2 200 Dörfer fördern. „Ich freue mich darüber, die Landfrauen in die Erarbeitung des Aktionsplanes einzubeziehen“, so Hinz.

 

HBV-Präsident Karsten Schmal freute sich in seinem Grußwort darüber, dass das Land gemeinsam mit den Landfrauen in den Schulen verstärkt über Lebensmittel, deren Zubereitung und Herkunft informieren will. In Zeiten, in denen Bauern zunehmend pauschal an den Pranger gestellt würden für Insektenschwund, Grundwasserverunreinigung oder Massentierhaltung, seien die Bäuerinnen unter den Landfrauen ein wichtiges Bindeglied zur Landwirtschaft. „Die jungen Leute beherrschen ihren Job wie kein anderer, die sollen Spaß am Beruf haben“, betonte er. Dafür seien Landfrauenverband und Bauernverband gemeinsam an vielen Stellen unterwegs, um über Zusammen­hänge aufzuklären. Die Blühstreifenaktion für Bienen und andere Insekten werde gut angenommen. Er wünschte sich noch mehr blühende Gärten auch in den Städten. „Ohne Landwirtschaft gibt es keine Lebensmittel, ohne Lebensmittel keine Menschen“, unterstrich er eine Binsenweisheit. Landfrauen und Bauern sieht Schmal als Säulen für Wirtschaft und Kultur im ländlichen Raum. „Wir wissen, was Sie leisten, wir wissen das auch zu schätzen“, bedankte er sich für das Engagement der Landfrauen.

Das Hessentagspaar Katharina Löhwing-Diebel und Dennis Diebel (v. l.) mit ihren Kostümen aus der Zeit Konrad Dudens hießen gemeinsam mit dem 1. Stadtrat Gunter Grimm die Landfrauen in Bad Hersfeld willkommen.
Foto: Dietz

Humorvoll und dennoch mit beeindruckendem religiösen Tiefgang sprach Bruder Paulus zum Thema „Oh du schönes Miteinander?! Von der Freude, gemeinsam unterwegs zu sein“ und machte die Stiftsruine vorübergehend wieder zu einem Ort der Verkündigung.
Foto: Dietz

In seinem Festvortrag zum Thema „Oh du schönes Mitei­nander?! Von der Freude, gemeinsam unterwegs zu sein“ ergriff Bruder Paulus im wahrsten Sinne des Wortes Besitz von der Bühne der heutigen Stiftsruine, einer ehemaligen Basilika, deren Hauptweihe im Jahre 1144 erfolgte und die 1761 im siebenjährigen Krieg gebrandschatzt und zerstört worden war. Mit vermeintlich lockeren Sprüchen sicherte er sich manchen Lacher, vor allem aber die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörerinnen; um dann völlig unvermittelt heutige Denk- und Verhaltensweisen mit Aussagen aus der Heiligen Schrift zu konfrontieren. Ein humorvoll-schauspielerischer Auftritt mit religiösem Tiefgang.

Mir bleibt die Spucke weg bei so vielen Frauen

„Mir bleibt die Spucke weg, bei so vielen Frauen“, war einer seiner Sprüche. Er stellte fest: „Früher hatten die Mönche nur die Mitbrüder, die sie hatten. Und jeder einzelne ist anders und das ist auch gut so. Wir können uns die anderen nicht aussuchen, die uns Nächste sind.“ Rund 450 Jahre nach Gründung der Hersfelder Abtei habe Franz von Assisi, Sohn eines reichen Kaufmanns, erkannt, dass Geld die Kommunikation unter den Menschen kaputt mache. Seine Reaktion darauf: Er gründete einen Bettelorden. Das war ein Kontrastprogramm zur damaligen wie heutigen Denkweise: „Ich brauche keinen mehr, wenn ich genug habe.“ Würden wir uns heute noch bei einem Nachbarn eine Tasse Salz leihen wie noch vor Jahrzehnten üblich? Oder würden wir doch lieber mit dem Suff (gemeint SUV) zwölf Kilometer weit fahren, nur um uns keine Blöße zu geben?, stellte Bruder Paulus die Frage in den Raum. Es sei uns furchtbar peinlich, einen Fehler zuzugeben. Dabei sei es nicht schlimm, Fehler zu machen, sondern sie zu vertuschen. „Die katholische Kirche holt da gerade eine Menge nach“, nannte Paulus ein aktuelles Beispiel.

Auch die sieben Brüder seines Ordens in Frankfurt müssten es miteinander aushalten. Die würden nicht im Traum daran denken, gemeinsam in Urlaub zu fahren. „Unter jedem Dach ein Ach“, verkürzte er, was den Zuhörerinnen sehr bekannt vorkam.

Nicht übereinander, sondern miteinander reden

Jeder spüre im Grunde seines Herzens, der andere ist einer wie ich. Dennoch seien die Menschen versucht, sich über andere zu erheben, andere schlecht zu reden. „Wo zwei oder drei zusammenstehen, haben sie vier oder fünf zwischen den Zähnen“, so seine sarkastisch anmutende Zuspitzung. Wir sollten nicht übereinander, sondern miteinander reden, so Paulus Schlussfolgerung. Das könne gelingen, wenn die Menschen bereit seien, Ideologien keine Macht zu geben.

Der Buchtitel „Ich bin dann mal weg“, millionenfach verkauft, sei fälschlicherweise zu einem Ausdruck von Freiheit geworden. „Die größere Kunst ist es, da zu bleiben, treu zu sein“, betonte er. Die schönste Reise durch die Welt ist es nach Bruder Paulus, im Gespräch gegenwärtig zu bleiben. Und nicht nach den neuesten E-Mail-Nachrichten zu schielen. Jeder sollte sich selbst ab und an Fragen stellen: Wo bin ich mit den Gedanken während eines Gesprächs? Was ist mir wirklich wichtig, die Sache oder mein Ansehen? Welches Miteinander pflege ich?

Über sich selbst zu lachen, sei besser als Abwehr gegen andere. Zur Abwehr von Fremdenfeindlichkeit mitten unter uns empfahl Bruder Paulus Willkommensabende für Zugezogene, denen man sich dann in aller Offenheit zuwenden solle. Das könne man dann fortsetzen indem man Flüchtlinge willkommen heiße und lerne, wie man anderen Orts koche. Der Kirche, den Kirchen wünschte Paulus mehr Mut, wie früher Seelsorge zu betreiben, und weniger Zählsorge wie heute. Und den Menschen wünschte er, die Freiheit zu entdecken, zum einen zu dienen und zum anderen sich bedienen zu lassen.

 

Dz – LW 25/2019