- „Froh zu sein bedarf es wenig, denn wer froh ist, ist ne Landfrau!“ Dieses Ständchen in leicht variierter Fassung brachten die Nauheimer Landfrauen am Mittwochmorgen gleich mehrfach dar. Genauer gesagt, 26 Mal. Denn so viele Busse kamen zum Landfrauentag anlässlich des Hessentags. Die Nauheimerinnen hatten die Aufgabe übernommen, die Kolleginnen, die aus ganz Hessen angereist kamen, vom Busstopp in die Werkshalle K48 zu begleiten. Dort trafen sich am Vormittag rund 2000 Landfrauen.

„Umparken im Kopf fängt bei jedem von uns an “Gut besuchter Landfrauentag auf dem Hessentag

Der Landfrauentag sei immer ein besonderer Höhepunkt auf dem Hessentag, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier vergangene Woche vor rund 2 000 hessischen Landfrauen in der Music Hall K48 in Rüsselsheim. „Ihr seid eine starke Truppe und erfahrene Fürsprecher für den ländlichen Raum“, lobte Bouffier das vielseitige Engagement der Landfrauen.

Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster (l.) und Irene Fückel, Vorsitzende des Bezirksvereins Groß-Gerau, während der Begrüßung der 2 000 Landfrauen und zahlreichen Ehrengäste auf dem Landfrauentag in Rüsselsheim.

„Miteinander mehr erreichen, ist einer Ihrer Leitsprüche. Ein Motto, das wir alle in unserer Gesellschaft wieder mehr verankern müssen“, sagte der Ministerpräsident. „Leider erleben wir heute an vielen verschiedenen Stellen, dass statt der helfenden Hand gerne mal der Ellenbogen ausgefahren wird und dass es an etwas Grundlegendem fehlt: Respekt. Sie, meine Damen, sind schon heute herausragende Vorbilder dafür, wie der Einsatz für Respekt und Miteinander in unserer Gesellschaft konkret im Alltag gelebt wird. Dafür danke ich Ihnen. Und ich möchte Sie ermutigen, genauso weiterzumachen“, so Bouffier.

Mehr Geld für Ernährungsprojekte

Zum Weitermachen in Sachen Ernährungsbildung gab es einen Grund zur Freude: „Es soll mehr Geld aus dem Landwirtschaftsministerium für unsere Arbeit für nachhaltige und klimafreundliche Ernährung geben“, bedankte sich die Präsidentin des Landfrauenverbandes Hessen (LFV)Hildegard Schuster bei der Staatsregierung. „Mit den Mitteln können wir Landfrauen ausbilden, damit sie mit Projekten wie dem Ernährungsführerschein in die Schulen gehen“, sagte Schuster. Das allein reiche den Landfrauen jedoch noch nicht. „Wir kämpfen weiter dafür, dass die Ernährungsbildung als feste Lerneinheit in die Schulform aufgenommen wird“, betonte die Landfrauenpräsidentin. Ein weiteres Anliegen des LFV sei, die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern abzuschaffen. „21 Prozent beträgt laut Bundesarbeitsministerium der Unterschied im durchschnittlichen Bruttolohn zwischen Männern und Frauen. So groß ist die Lücke in kaum einem anderen Land Europas“, merkte Schuster an. Die Gründe dafür seien vielschichtig. Frauen würden häufiger in niedrig entlohnten Branchen wie in Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen sowie in der Reinigung arbeiten. Sie würden in bestimmten Berufen und Branchen ganz fehlen und seien in Führungspositionen unterrepräsentiert. „Arbeit am Menschen muss endlich die Anerkennung finden, die sie verdient. Arbeit am Menschen ist genauso viel Wert wie Arbeit am Material, eigentlich sogar mehr!“, betonte Schuster und empfahl allen Politikern, die `Berliner Erklärung 2017´ zu lesen. „Darin sind die Forderungen von 16 Frauenverbänden, darunter auch dem Deutschen Landfrauenverband mit über 500 000 Frauen, zusammengefasst. Wir möchten wissen, was Sie davon in der nächsten Legislaturperiode aufgreifen und umsetzen wollen“, so Schuster. Nicht unerwähnt bleiben dürfe die Forderung noch höherer Anerkennung der Ehrenamtsarbeit. „Wenn Vereinsarbeit nicht stäker gesellschaftspolitisch gestärkt wird, bricht sie weg“, gab Schuster zu bedenken. „So fordern wir nach wie vor, Se­minare zur Vereinsführung als Bildungsurlaub anzuerkennen.

Rahmenbedingungen schaffen

Ob eine Frau in Halb- oder Vollzeit arbeiten wolle, sei eine Entscheidung innerhalb der Familie, erwiderte Ministerpräsident Volker Bouffier. „Unsere Aufgabe ist es, die Chancen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit man sich selbst in der Familie entscheiden kann.“ Bouffier begrüßte, dass sich fast 40 Prozent der Bevölkerung in Hessen ehrenamtlich engagieren. „Das ist ein großer Schatz, den es so woanders nicht gibt. Diejenigen, die mehr tun als sie müssen, verdienen dauerhafte Anerkennung“, sagte der Ministerpräsident. Was zum Beispiel bei der Integration von Flüchtlingen geleistet wurde, sei beispielhaft. „Es fordert uns, Fremden hier eine Heimat zu geben, die für alle in Ordnung ist. Viele gesellschaftliche Herausforderungen werden auf uns zukommen. Wir müssen die Dinge gemeinsam lösen“, appellierte Bouffier. Aufgrund der demografischen Entwicklung werde der Pflegeberuf zunehmend wichtiger und verdiene gesellschaftliche Anerkennung und passende Bezahlung, stimmte Bouffier den Landfrauen zu. „Wie kriegen wir junge Menschen dazu, diesen Beruf zu erlernen?“, fragte er. „Auch zu dieser Frage werden wir engagiert zusammenarbeiten“, versprach Bouffier.

 

Bindeglied zwischen

Stadt und Land

„Sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Stadt und Land“, lobte der Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV) Karsten Schmal die Arbeit der hessischen Landfrauen. „Ihre Projekte wie die Agrarbürofachfrauen oder die Agrarbotschafterinnen dienen auch der Landwirtschaft“, so Schmal. „Und mit ihren Angeboten zum Thema gesunde Ernährung liegen Sie ganz richtig. Sie setzen sich für ein gesundes Ernährungsverhalten ein und informieren die Verbraucher über unsere regionalen Lebensmittel.“ Auf dem Hessentag könne sich jeder Besucher von den vielfältigen Produkten aus der Region bei „Natur auf der Spur“ ein Bild machen. Das Hessentagspaar Selma Kücükyavuz und Marcel Sedlmayer sowie Oberbürgermeister Patrick Burghardt begrüßten ebenfalls das ehrenamtliche Engagement der Landfrauen und luden zu einem Besuch des Hessentages ein. „Mit ihnen sind schon über 583 000 Besucher an den ersten fünf Tagen nach Rüsselsheim auf den Hessentag gekommen“, freute sich Burghardt.

Frauenpower bei Opel

Vor circa vier Jahren wurde Tina Müller Marketingchefin bei Opel. Sie forderte die Landfrauen auf: „Wir brauchen dringend mehr Frauen: Schicken Sie uns Ihre Kinder, die Ingenieurwesen studiert haben!“ Im Zeitalter der Digitalisierung sei es Müller egal, wo und wann ihre Mitarbeiterinnen arbeiten würden. „Durch die Digitalisierung sind Zeit und Ort nicht wichtig. Wenn wir den Frauen insgesamt mehr Flexibilität geben, dann kommen sie zum Beispiel nach einer Babypause zurück und können Karriere bei uns machen.“ Die Marketingchefin wurde durch die Opel-Kampagne „Umparken im Kopf“ bekannt. Ihre Sprüche wie „Aus Sicht der Physiker kann die Hummel unmöglich fliegen – Der Hummel ist das egal“ seien bei den Verbrauchern gut angekommen. Es sei ihr wichtig gewesen, festgefahrene Vorurteile zu bereinigen und Menschen zum Nachdenken anzuregen. „Denken Sie ebenfalls um! Deutschland braucht Frauen in der Unternehmensführung. Wir brauchen volle Frauenpower für den Menschen und für das Material“, lautete Müllers Appell.

Frauenkarrieren in typischen Männerberufen

Einen Einblick in zwei ansonsten eher von Männern ausgeübten Berufe erhielten die Anwesenden bei einem Interview, das LFV-Präsidentin Schuster mit zwei Opel-Mitarbeiterinnen führte. „Ich habe vor zehn Jahren hier bei Opel den Beruf der Mecha­tronikerin gelernt. Jetzt bin ich Ausbildungsmeisterin für diesen Beruf im Konzern“, beeindruckte Tina Bjanow. „Bis Männer mit technischen Fragen zu mir kamen, hat es etwas gedauert. Das ist vielen schwergefallen“, sagte die junge Frau. Als guten Einstieg für Mädchen, einmal in typische Männerberufe hineinschnuppern zu können, erwähnte sie den `Girls“ Day´. „Dieser Tag findet aber nur einmal im Jahr statt. Schon in der Familie und im Dorf sollte man für Gleichstellung sorgen“, lautete Bjanows Rat. Schuster fragte auch Sylke Rosenplänter, die als leitende Ingenieurin im Management bei Opel arbeitet, welche Verbesserungsmöglichkeiten es für Frauen in der männerdominierten Arbeitswelt gibt. „Ich habe erlebt, dass man viel Energie benötigt, wenn man in einer Männerwelt arbeitet. Aber wenn man sich für die Dinge einsetzt, die einen interessieren, und man sich für das, was man tun möchte, nicht selbst im Weg steht, dann schafft man das“, antwortete Rosenplänter. Jeder könne jeden Tag etwas verändern, müsse aber bei sich selbst anfangen, waren sich die Opel-Mitarbeiterinnen einig. „Ja, Umparken im Kopf fängt bei jedem von uns an“, griff Schuster den Opel-Slogan auf und dankte den beiden Frauen für die Darstellung ihres Berufsweges. „Vieles ist möglich, wenn man sich dafür einsetzt“, so Schuster.

Hundert Jahre Frauengeschichte

Das Kabarett-Duo „Frauengold“, Susanne Geiger und Birgit Kruckenberg-Link, blickte mit Wortwitz und Selbstironie auf hundert Jahre Frauengeschichte. Sie unterhielten mit Gesang und Klavierbegleitung und ließen Zitate aus früheren Zeiten vom Stapel, die zum Schmunzeln anregten. Der bayerischer Politiker Michael Horlacher habe zum Beispiel ehedem gesagt: „Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut.“ Oder die deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm: „Man kommt sich auf dem Gebiet der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor. Das liegt an der Taktik der Gegner.“ Die beiden Künstlerinnen ließen durchblicken, dass die Rolle der Frau in Politik und Gesellschaft in früheren Zeiten am besten mit regelmäßigen Schlückchen aus der Frauengold-Flasche zu bewältigen gewesen sei. „Nimm Frauengold und du blühst auf! Das Getränk hat ja nur 16,5 Prozent Alkohol“, bemerkten sie verschmitzt.

Unterhaltung mit Tanz- und Gitarrengruppen

Viel Beifall erhielten die Auftritte der Gitarrengruppen sowie der Tanzgruppe „Hessenschnicker“ des Bezirksvereins Groß-Gerau. Aufgeführt wurde auch ein Zwiegespräch zwischen Katharina von Bora und Martin Luther – gespielt von Helga Rupp und Walter Ullrich. Selbstbewusst sagte beispielsweise Bora zu Luther: „Wir haben eine gemeinsame Sache, und zwar Gottes Sache. Frieden muss man machen, so wie wir das jeden Abend tun. Und morgen früh finden wir wieder gute Vorsätze.“ Abschlussworte und Dank für die gute Organisation des Landfrauentages gab es von Gudrun Stumpf, der ersten stellvertretenden Vorsitzenden des LFV. Elke Jäger, erste Vorsitzende des Bezirksvereins Waldeck, lud alle Landfrauen zum Hessentag 2018 nach Korbach ein. „Unser Hessentag findet vom 25. Mai bis 3. Juni 2018 statt und wird unter dem Motto „sympathisch, bunt und goldrichtig“ stehen“, informierte Jäger.